Seit mehreren Jahren sind Begriffe wie „Parteienverdrossenheit“ oder „Krise der politischen Repräsentativität“ immer häufiger benutzt worden, um die Lage der Parteiensysteme in zwei der bedeutendsten Demokratien Westeuropas, bzw. Frankreich und die BRD, zu charakterisieren. Eine solche Entwicklung kann selbstverständlich in den seit den 80er Jahren veränderten Wahlverhalten der deutschen und französischen Bürger erklärt werden. Dies hat heute verschiedene Merkmalen: 1) Erfolg extremistischen oder „Antisystemen“ Parteien, z.B. französische „Schock“ der 21.April 2002 bzw. die Präsenz eines Rechtsextremist im zweiten Wahlgang, jüngste Wahlerfolg der NPD bei den Landtagswahlen 2004 in Sachsen und 2006 in Mecklenburg-Vorpommern; 2) niedrige Wahlbeteiligung, und auch 3) die Verbreitung eines Phänomens der „Wechselwahl“. Hinsichtlich haben viele sogar auf eine „Krise der Demokratie“ in diesen beiden Länder gesprochen. Die erstaunlichen Ergebnisse von einer jüngsten Umfrage des Demoskopieinstitut FGW, die die Unzufriedenheit einer Mehrheit der Deutschen mit der Demokratie zeigten, haben folglich solchen Thesen deutlich verstärkt. Auch die aktuelle politische Wahlkampagne in Frankreich scheint die etablierte Rolle der Parteien zu missachten, um eine direkte Kommunikation zwischen den Kandidaten und das Volk zu begünstigen.
In einer solchen Situation, wo die Kritik der Parteiensysteme in gewissen Teilen der Bevölkerung immer mehr verbreitet ist, scheint es notwendig zu sein, die historischen Gründen und Prinzipen dieser in der Nachkriegszeit etablierten Parteiensysteme in Erinnerung zurückzurufen. Vor allem sind aber auch die zeitlichen und politischen Entwicklungen der nationalen Parteiensysteme zu analysieren, um ihre aktuelle Krise und ihre potentielle Wirkung zu erfassen. Erstens muss man die Basen der Parteiensysteme Frankreichs und Deutschlands wieder definieren. Deswegen ist eine präzise und kohärente Definition des Begriffs „Parteiensystem“ mitzubringen. Eine akzeptierte Begriffserklärung wäre, dass ein „Parteisystem“ ein „Fachausdruck für die Gesamtheit der in einem politischen Gemeinwesen agierenden Parteien und die Regelmäßigkeiten ihrer wechselseitigen Beziehungen“ (M.G. SCHMIDT, Wörterbuch zur Politik, S. 704) ist.
Ferner haben Politologen seit Mitte der 50er Jahren genauen Klassifizierungen der Parteiensysteme in den westlichen Demokratien etabliert, um zusammen die Konfliktlinien, die die Parteien begründeten, und folglich gegeneinander abtrennten oder annährten; und das Organisierung dieser parteilichen Oppositionen in einem System zu erklären. Besonders relevant sind zwei Klassisierungen, um die noch heute dominierenden Parteiensystemen Frankreichs und Deutschlands zu verstehen. 1) Die auf vier Kriterien, bzw. „cleevages“ basierte Paradigma Stein Rokkans (in Daniel-Louis SEILER: Les partis politiques, S 73-74):
• Dominante gegen unterworfene Kultur (was zur Gründung regionalistischen Parteien führen soll).
• Staat gegen Kirche (1905 Auseinandersetzung zwischen laïzistischen Parteien und Christlichdemokratischen Parteien in Frankreich, die noch nach 1945 Auswirkungen hatten, „Kulturkampf“, katholische Politik, und Gründung der Christdemokratie in der BRD).
• Agrarinteressen gegen Industrieinteressen (Existenz Agrarparteien in Frankreich in der 50er Jahren und Einfluss der landwirtschaftlichen „Lobbies“ in manchen Parteien in der BRD und in Frankreich).
• Kapital gegen Arbeit (was die Stärke marxistischen/sozialdemokratischen Parteien in Frankreich und in der BRD erklären soll).
Darüber hinaus wurden nationale Systemunterschiede zwischen Demokratien wo die Dominanz ein Zweiparteiensystem langzeitig gebaut wurde (bzw. den USA und, teilweise Großbritannien), und Länder wo ein Mehrparteiensystem dominant blieb 1964 von dem Politologe Giovanni Sartori klassifiziert. 2) Dies hat zur Typologie der westlichen Demokratien in vier möglichen Parteiensystemen geführt (O.W. Gabriel, O. Niedermayer. R. Stöss hrsg: Parteiendemokratie in Deutschland S 60):
• Zweiparteiensystem mit alternierender Regierung (konstante unbeendete Versuchen, ein solches System in der BRD und in Frankreich zu einführen).
• Gemäßigten Pluralismus, der drei konzeptduale Varianten darstellt: alternierende Flügelparteien ohne Koalition, alternierende Flügelpartei mit festem Koalitionspartner, große Koalition, bzw. Koalition der Mitte.
• Polarisierten Pluralismus: Eher Opposition von Rechts und Links, aber mit der Existenz koalitionsfähigen Mitteparteien.
• Hegemoniale Parteiensystem, wo eine Partei die alleinherrschaftliche Rolle spielt.
Angesichts dieser grundsätzlichen Klassisierungen können die französischen und deutschen Parteiensysteme nur in einer Schwierigerweise annähren werden. Auch historischen gegenseitigen Verhalten gegenüber den Parteien seit 1945 in den beiden Ländern erklären wahrscheinlich den Bau verschiedene Parteiensysteme.
Um präziser zu sein soll die deutsche Parteienanschauung - trotz allen historischen Regimewandeln- von einer historischen Kontinuität charakterisiert werden: „Von der Gründungzeiten bis heute lässt sich eine Reihe von Traditionslinien zu verfolgen, sodass die Entwicklung des deutschen Parteiensystems bei allem Wandel durch ein erstaunliches Maß an Kontinuität gekennzeichnet ist“. Im Gegensatz zu einem solchen Modell stellt die gaullistische Tradition der V Republik eine „klare Umbruch mit der führende Rolle der Parteien im Entscheidungsprozess, die in den III und IV Republiken dominant war“ dar.
Diese Opposition ist auch in einer umgekehrten Wahrnehmung der Parteien in den beiden Länder zurückzuführen. Das Parteiensystem Frankreichs wurde von den harten Kritiken De Gaulles, der sich gegen die Exzesse der IV Republik ausgesprochen hatte, die Nötigkeit der Parteienauseinandersetzungen überschritten wollte und sogar sich gegen den „Altparteien“- was folglich auch gegen den existierenden Parteiensystem bedeutete- eine Konfrontation 1962 freilich ausgelöst hatte. Demgegenüber entwickelte sich die wiederhergestellte demokratische Tradition der nach 1949 in der BRD in Kraft wurde. Dies erwähnt und organisiert grundgesetzlich die Parteiensystem, indem sie im Artikel 21 des Grundgesetzes ihre Notwendigkeit und Wirkung erkennt („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“), was teilweise zur Polemiken über die Existenz eines „Parteienstaat“ in der BRD geführt hatte.
Trotz allen dieser theoretischen so wie anschaulichen Diskrepanzen, kann man über eine seit 1945 verschiedene Entwicklung der Parteiensysteme Deutschlands und Frankreichs? Sind diese zwei demokratischen Parteiensysteme antinomisch? Erweist die aktuelle Fragmentierung dieser Parteiensysteme Gleichartigkeiten, die in der historischen Entwicklung der Parteien in Frankreich und in der BRD seit 1945 erklärt werden könnten?
Um diese wesentlichen Befragungen zu beantworten, wird man drei historischen Perioden unterscheiden: Erstens die Wiederaufbau und die Stabilisierung eines demokratischen Parteiensystems in den beiden Länder (1945-1961/62), dann der Erfolg einer Parteikonzentration in diesen beiden Demokratien (1961/62-1983/84), und schließlich die Herausforderung einer unstabilen Neufragmentierung durch « Antisystemen » Parteien (seit 1983/84).
[...] Die Autonomiestrategie der französischen Zentristen stellte aber eine beträchtlichere Wahlpotential als denen der FDP dar: Bei den Präsidentschaftswahlen 1965 erhielt der Zentrist Lecanuet 15,8% der Stimmen konnte sogar der Senatspräsident Poher im zweiten Wahlgang gegen der Gaullist Pompidou antreten. Der erhielt dennoch nur 41% der Stimmen. Noch 1973 konnte die Zehntristautonombündnis der „Rénovateurs“ 13% der Stimmen trotz der Errichtung einer formalen linken Partnerschaft erhalten. Vor allem waren aber die Einflussmöglichkeiten der deutschen und französischen Zentristkräfte unterschiedlicher. Als Folge verschiedenen Logiken der Wahlsysteme Frankreichs und Westdeutschlands lies sich solche Stellungen erklären. Schon Mitte der 50er Jahren hatte der Politologe Maurice Duverger die Theorie vertreten, dass ein Mehrheitswahlsystem eine Polarisierung begünstigte. [...]
[...] Wegen den extremistischen Parteien genauso in Deutschland so wie in Frankreich bleibt die Integrierung der Antisystemparteien natürlich unkomplett. Nach ersten Kompromissen hat die französischen Rechte schon 1989 alle Bündnisse mit der FN ausgeschlossen[119]. Umso klarer hat die SPD und noch 2005 klar gemacht, dass sie keine Koalition mit der Linke/PDS bilden wollte. Dennoch bleibt die Wahleinfluss dieser Antisystemparteien teilweise entscheidend, was sogar zur Destabilisierung der neuen polarisierten Parteiensysteme geführt hatte. In Frankreich konnte die FN an den Wahlen 1997 eine gewisse -trotz nicht entscheidende- Rolle spielen, indem sie seine Kandidaten im zweiten Wahlgang gegen die bürgerlichen Mehrheit der UDF/RPR behauptete und folglich teilweise den Erfolg der Pluralen Linke erklären kann[120]. [...]
[...] Gegensätzlich konnte das Parteiensystems der BRD durch verschiedene Methoden dieser Entstehung dämpfen. De facto muss man jedoch feststellen, dass die BRD und Frankreich unterschiedliche parteiische Destabilisierung auseinandersetzten. Das Phänomen der „Antisystemparteien“[21]konnte aber in den beiden Demokratien als vergänglich betrachtet werden. Genauso die erste gaullistische Bewegung („Rassemblement du peuple français“ RPF[22]) und die populistische 1956 entstehende UDCA[23] wie die populistischen und Interessenparteien WAV und GB/BHE und sogar die neonazistische SRP (O.GABRIEL, S68, 69) erkannten nur zeitlich begrenzten Erfolgen. Innerhalb dieser Bewegungen muss man aber unterschieden zwischen den Parteien, die das existierende Parteiensystem abschaffen wollten und die politischen Kräften, die sich zu Kompromissen mit den regierenden Koalitionen bereit zeigten. [...]
[...] Diese war aus der SFIO, MRP, CNIP und Gaullisten komponiert. Er begründete seine Entscheidung aus einer politischen Verteidigungsstellung des Senats. In HÖHNER S 174. In YSMAL, S 91. Pompidou sowie Mitterrand lehnten aber eine Annäherung klar ab. Besonders Anhänger dieser starken Stellung waren Mitglieder der so genannte Stahlhelm Gruppe innerhalb der CDU und die Baden- württembergische CDU (A. Dregger, H. Filbinger). in VON ALEMANN, Opt Cit S 61. In D. Bark & David Burke L'ALLEMAGNE DEPUIS S 454. [...]
[...] Diese blieb aber relativ in Frankreich, wegen der Notwendigkeit einer absoluten Mehrheit zu erhalten. Deshalb konnten die französischen Zentristen eine autonom Kraft nur im ersten Wahlgang darstellen, dann aber zwischen Rechts - oder Linksbündnisse wählen, um ihre eigene parlamentarische Vertretung zu gewährleisten. Bis 1974 und die Wahl Giscard D'Estaing erreichten sie aber eine relativ unabhängige Strategie zu bilden, und im Parlament vertreten zu bleiben. Die konnten jedoch die Errichtung absoluten parlamentarischen Mehrheiten der Gaullisten niemals verhindern[58]. Gegensätzlich ergab das personalisierte Verhältniswahlsystem der BRD eine zentrale Rolle der FDP[59]. [...]
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