In seinem Buch über Europa nach dem Zweiten Weltkrieg benutzt der Historiker Tony Judt ein Zitat von Alexis de Tocqueville, um die Situation der Sowjetunion zur Zeit der Perestrojka zu beschreiben. Diese Betrachtung des normanischen Autors stammt aus dem berühmten Buch L'Ancien Régime et la Révolution und lautet folgendermaßen : « Le moment le plus dangereux pour un mauvais gouvernement est d'ordinaire celui où il commence à se réformer. » Der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung ist für gewöhnlich der Moment, indem sie beginnt, sich zu reformieren.
Vermutlich möchte Tony Judt eine Parallele zwischen dem französischen alten Regime und der UDSSR machen. Der Vergleich scheint zunächst anachronistisch zu sein. In der Tat sind diese Epochen sehr verschieden. Aber diese beiden politischen Systeme waren despotisch und total entfernt von den Standards der heutigen liberalen Demokratien.
[...] Mit der Hoffnung, die Exekutive zu verstärken, wurde Gorbatschow zum Präsidenten der UDSSR für fünf Jahre gewählt. Als Gorbatschow das wirtschaftliche und politische System liberalisierte, gab er den Unzufriedenen die Möglichkeit, die wirtschaftliche Situation zu kritisieren, obwohl er der Bevölkerung zum Ausgleich keine brillante Außenpolitik mehr bieten konnte. Tony Judt spricht in seinem Buch von der dirigierten Revolution Gorbatschows, für die der reformatorische Kommunist von den Hardlinern der Partei und den radikaleren Reformatoren kritisiert wurde. Obwohl seine Ziele und der Rahmen unvereinbar waren, wurden die Reformen der Zeit Gorbatschows als nicht genug radikal von Boris Jelzin betrachtet. [...]
[...] Solche Entwicklungsprogramme konnten aber die nationalen Spannungen nicht abbauen. Die Entscheidung des Obersten Sowjets der UDSSR vom Juli 1988, die das armenische Begehren nach Neugliederung als verfassungswidrig betrachte, und das politische Krisemanagement lösten die nationalen Probleme in den kaukasischen Republiken keineswegs, sondern spitzten die Situation nur weiter zu. Die Feindseligkeiten zwischen Armeniern und Aserbaidschanern steigerten sich. Im September 1988 nahmen die Unruhen aufgrund von Bombenattentaten zu. Um ein weiteres Blutvergießen zu verhindern, rückten mehr Moskauer Truppen in Eriwan Ende Septembers ein. [...]
[...] Im März 1989 erhielt der Ministerpräsident Nemeth von Gorbatschow die Zusicherung, dass Russland sich in den Demokratisierungsprozessen Ungarns nicht einmischen würde. Die Erinnerung an die Revolution von 1956 blieb frisch. Die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze war ein neues Signal. Weil sie ein deutscher Teilstaat war, schöpfte die DDR ihre Identität vor allem aus der sozialistischen Idee. Jede Gefährdung des „real existierenden Sozialismus“ trug zur Gefährdung der Existenz der DDR als solche bei. Deshalb reagierte man in der DDR mit ungewöhnlicher Heftigkeit auf alle Versuche, dieses System zu reformieren. [...]
[...] Kaukasus Die historischen Nationalitätenkonflikte in der Sowjetunion kamen ab 1987 im Zeichen der Perestrojka schneller und explosiver an die Öffentlichkeit. Vor dem Pogrom von Sumgait am 28. Februar 1988 kämpfte der armenische Parteichef Demirtschjan um die Erweiterung seines Machtbereichs in Berg-Karabach, während der Aserbaidschaner Bagirow massiv gegen den Beschluss des Karabach-Sowjets auftrat, die zu Aserbaidschan gehörende autonome Region Berg-Karabach durch eine entsprechende Verfassungsänderung Armenien zuzuschlagen. Die zwei südlichen Unionsrepubliken befanden sich 1987 in einem Verfassungskonflikt, den der Oberste Sowjet der UDSSR im Oktober 1988 auf einer klaren Rechtsgrundlage gegen Armenien entschied. [...]
[...] Osteuropa Die friedliche Revolution in Osteuropa von 1989 war möglich, weil Gorbatschow auf die laut Breschnew Doktrin beschränkte Souveränität der Republiken der UDSSR verzichte. Auf der 19. Parteikonferenz vom Juni 1989 sprach er nämlich von der Freiheit der Völker und Staaten bei der Wahl ihres Gesellschaftssystems. Im September 1989 behaupte der sowjetische Außenminister vor den Vereinten Nationen, dass Freiheit der Wahl an oberster Stelle der höchsten Werte der Nationen steht. Jedes Volk hat [das Recht], frei die Wege und Mittel seiner Entwicklung zu wählen.“ Infolgedessen geschahen der Zusammenbruch der sozialistischen Hegemonie in Osteuropa, die deutsche Einheit und die Überwindung europäischer Spaltung. [...]
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