Der 11. September 2001 wird klar als Schlüsseldatum in der Geschichte der internationalen Beziehungen betrachtet. Die Terminologie, die in dieser Katastrophe vom Präsident Bush verwendet wurde („Kreuzzug“, „das Gute gegen das Böse“), erinnert an der so genannten Theorie der „clash of civilizations“, die zum ersten Mal im Jahre 1964 vom britannischen Professor Bernard Lewis formuliert wurde, bevor sie vom Samuel P. Huntington (Professor in Harvard, USA, und ehemaligen Experten im „American National Council for Security“ während der Carter Regierung) 1993 in einem nun berühmten Artikel in Foreign Affairs wiederbehandelt wird. 1996 kommt der Höhepunkt der Theorie mit der Erscheinung eines ca. 500 Seiten-langen Buches von Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. Schon bei Lewis war der Zentralpunkt dieses Schocks die Opposition zwischen Islam und Okzident (oder „jüdisch-christianische Religion“). So ist die Frage: Ist der 11S die Verwirklichung einer Huntingtonsche Prophetie? Die Antwort lautet massenweise negativ; viele Politologen wollen die sogenannte „Falle von Huntington“ vermeiden. Es wird auch behauptet, Frankreich hätte lange versucht, die Wörter (und damit die Theorie) von Huntington nicht zu berücksichtigen. Und wenn der Präsident Chirac im Dezember 2003 von „Agression“ spricht, was das islamische Tuch betrifft, erklärt die Journalistin Elisabeth Schemla: « Pour la 1ère fois, Jacques Chirac reconnaît que la France n'est pas épargnée par le choc des civilisations ».
So erscheint die Idee einer „clash of civilizations“ sehr umstritten. Deshalb stellt sich die Frage nach ihrer Relevanz. Ist die Debatte gerechtfertigt? Gibt Huntington einen guten Vorschlag für die Analyse der internationalen Beziehungen? Sind die heutigen Konflikte Konflikte zw Zivilisationen?
Damit die Theorie von „clash of civilizations“ richtig verstanden werden kann, müssen die Ideen von „clash“ und „civilizations“ auch klar gemacht werden. „Clash“ ist ziemlich klar: Es handelt sich um einen heftigen Kontakt, einen Konflikt, einen Kampf. „Civilizations“ ist weniger eindeutig. Eine befriedigende Definition könnte die folgende sein: Eine Zivilisation beruht auf einer Kultur, die im Rahmen eines gegebenen Räumes gemeinsame Werte, Glauben und Benehmensweisen schafft.
Zuerst muss man die wichtigen Probleme der Konzepte anerkennen. Dann soll auch die Theorie mit der Praxis konfrontiert werden.
[...] Die Vermindung der Distanzen in der Welt verstärkt das Bewusstsein der Differenz in jeder Kultur. Die Identität des Nationalstaates wird durch die Globalisierung geschwächt. Die Hegemonie des Okzidents produziert in den anderen Zivilisationen ein immer stärkeres Gefühl, was die Differenz zum Okzident betrifft. Die Identität als Zivilisation ist grundlegend. Der wirtschaftliche Regionalismus entwickelt sich allmählich. Dieser wirtschaftliche Regionalismus trägt auch dazu bei, die Kohäsion in einer gegebenen Zivilisation zu verstärken. Der amerikanische Politologe Greenway spricht von „kin-country syndrome“, das eine Gefahr in der Huntingtonschen Vision darstellt. [...]
[...] Ein weiterer Mangel besteht in dem Ziel von Huntington, einen „leading state“ oder „Etat phare“ für jede Zone zu finden (zum Beispiel China für die chinesische Zivilisation, Indien für die hinduistische Zivilisation oder Japan für die japanische Zivilisation). Nach ihm gibt es keinen für die islamische Zivilisation, die wegen der Kluft zwischen dem starken Integrismus im saoudischen Staat und dem Prinzip des Laïcismus im türkischen Staat nicht als politische Einheit gelten kann. Für Afrika und Lateinamerika wird auch kein „leading state“ genannt. Also erscheint eine andere Grenze im Huntingtons System ganz klar. Schließlich kann die Kritik auf der Frage „Griechenland“ besonders stark sein. [...]
[...] Was diesen Punkt betrifft, sieht die so genannte realistische Kritik in der Theorie von Huntington eine rein politische Motivation, um einen neuen Feind ganz deutlich zu erfinden. Kalte Krieg ist zum Ende“ bedeutet die Verschwindung des Osten als Feind für den Westen. So wird die Welt theoretisch neu organisiert, damit ein Feind immer anwesend und identifizierbar ist. In seiner Idee von Reaktion gegen den dominierenden Okzident spricht Huntington von West and the Rest“. So bilden sechs oder sieben Zivilisationen einen der sehr unpräzis bleibt. Deswegen bleibt die Theorie kaum glaubwürdig. II. [...]
[...] Man soll auch darauf hinweisen, dass die Huntingtonsche Idee von Zivilisation nur in der okzidentalen Denkweise möglich ist. Dies wird von Huntington selbst anerkannt. In der Tat würden die anderen Zivilisationen die Welt, nicht als ein ganzes, sondern eher als eine Addierung von mehreren Gruppen beobachten. Wichtig ist auch zu bemerken, dass die Reflexion von Huntington makrockulturell geführt wird. So könnte man den Inhalt der von Huntington gegebenen Zivilisationen differenzieren. Zum Beispiel wäre die Differenz zwischen Sunniten und Chiiten im islamischen Raum zu unterstreichen. Mehrere Politologen haben Artikel als Gegenthese zu Huntington geschrieben. [...]
[...] Huntington vergisst, dass die Zivilisationen nicht fest und bestimmt sind. So vergisst er auch, dass sein Kriterium „Zivilisation“ keine Konstante darstellt, sondern nur eine Variante. In dieser Perspektive könnte er nur kurzfristig Recht haben. Für viele Autoren vertritt Huntington eine Position gegen den Multikulturalismus und gegen die Gefahr des kulturellen Pluralismus. Diese Sorge betrifft vor allem die westliche Welt, das heißt, die Welt, in der Huntington selber lebt. Schließlich muss klar gemacht werden, dass der 11S als „clash of values“ gelten kann, aber nicht als „clash of civilizations“. [...]
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