"Napoleon oder die hundert Tage." Dies ist der ambivalente Titel, den Grabbe seinem 1831 geschriebenen Stück gegeben hat. Im Gegensatz zu den anderen Werken, die er am Ende seines Lebens geschrieben hat ("Kaiser Heinrich VI.", "Hannibal", "Die Hermannschlacht") hat er sich für eine Formel entschieden, die durch die Einführung der Koordination "oder" einen Helden mit einer kurzen Zeitspanne gleichsetzt. Inwiefern kann man also Folgendes behaupten: "Nicht der Held, sondern der Lauf der Welt ist das zentrale Thema dieses Dramas"? Soll das bedeuten, dass der Autor sich vom herkömmlichen Schema distanziert, um eine Reflexion epischer Natur über seine Epoche anzustellen? Um diese Frage zu beantworten, werden wir uns auf eine dreiteilige Argumentation stützen. In einem ersten Moment werden die Funktion der Helden und die Struktur eingehend untersucht. Dann wird die Bedeutung der Volksgestalten anhand einer Analyse der Straβen- und Schlachtszenen durchgeführt. Schlieβlich wird der Akzent auf die Absichten des Autors und auf das von ihm vermittelte Weltbild gelegt.
[...] Ganze Armeen, nicht nur die obersten Befehlshaber tauchen auf einmal auf. Inwiefern sind aber diese Szenen für das Verständnis Grabbes Vorhaben relevant? Das Drama musste notwendigerweise in diese beiden Schlachten münden, damit der Zuschauer begreift, ob und inwiefern der Held tatsächlich von Bedeutung ist. Mit Napoleons Untergang wird klar, dass dieser Heldentypus völlig überholt ist. Auf die Frage, wer als Sieger aus der entscheidenden Schlacht ausgeht, ist aber keine eindeutige Antwort zu geben, wie die skepsisvollen Worte Blüchers am Ende des Stücks es beweisen: „Wird die Zukunft euer würdig Heil dann! [...]
[...] Er ironisiert den Lauf der Welt, den er als ein von „allerliebsten Weihnachtspuppen“ besetztes theatrum mundi, als „Schandflitter der Oberfläche“ entlarvt. Jouve ist aber nicht die einzige Gestalt, die Grabbe pessimistische Auffassung der Geschichte vertritt. Vitry, Carnot oder Fouché spielen ebenso die Rolle. Das Lied der Marmotte, welches sich u. a. während der von Jouve gestiften Unruhen und beim Fest auf dem Marsefeld hören läβt, erinnert auch an die Sinnlosigkeit einer Welt, die mit einem sich ewig drehenden Karussell vergleichbar ist. [...]
[...] Es musste zu einem Instrument werden, welches zum Verständnis der Gesetzte, die die Geschichte bestimmen, beitragen konnte. Von außen gesehen scheint Grabbe der von Aristoteles in seiner bestimmten Regeldramatik zu folgen. Das Stück besteht aus fünf Akten, wie in den meisten typischen dramatischen Stücken. Das alte Gliederungsschema wird aber durch eine neues, das drei große Teile aneinanderreiht, überlagert. Neu ist bei Grabbe, dass die Grenzen dieser drei Teile sich in keiner Weise mit denen der Akte decken. Sie schneiden nämlich die Akte mitten durch. [...]
[...] Napoleon, ein pessimistisches Stück Das Stück zeichnet sich durch die vielen Fragen aus, die es aufwirft und die wenigen Antworten, die es darauf gibt. Die Reflexion, die Grabbe mit seinem „Napoleon“ über den Lauf der Welt anstellt, weist in vielen Hinsichten pessimistische Züge auf. An dieser Stelle könnte eine Parallele zu seinem späteren Stück „Hannibal“ und Büchners „Dantons gezogen werden. All diese Werke verkünden ein pessimistisches Weltbild und sind vom Fatalismus dem Lauf der Welt gegenüber geprägt. Sie sind als Ausdruck politischer Resignation aufzufassen und charakterisieren mit ungemeiner Eindruckkraft eine Epoche voller Ängste. [...]
[...] Die Figur des Grafen von Artois (Monsieur), die nur in der vierten Szene des zweiten Ausgangs die Bühne betritt, verdient auch unsere Aufmerksamkeit: Sie zeugt von Grabbes Geschmack am Grotesken, diesmal jedoch in einem anderen Rahmen. Der Autor geiβelt die Leere ihres Lebens und ihr totales Fehlen an Spürsinn und Geistesklarheit durch solche Bemerkungen: propos, was fällt mir doch ein? Ja, eben hör'ich, Bonaparte ist gelandet in Toulon“. Dem Pessimismus setzt er die Ironie und die Komik als einzigen möglichen Ausweg entgegen. [...]
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