Sich mit zeitgenössischen Werken zu beschäftigen, kann zwar problematisch zu sein scheinen, weil die bisherigen Kriterien nicht mehr relevant sind, und weil ein bestimmter zeitlicher Abstand fehlt, so dass interessante Analysen übersehen werden können. Der Fall von Elfriede Jelinek ist jedoch etwa besonders, weil diese Autorin viel Aufmerksamkeit auf sich erregt hat, und deswegen ziemlich viel Sekundärliteratur über ihre Bücher und ihre besondere Schreibweise erschienen ist.
Bemerkenswert ist, dass seit Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte, die Schreibweise von Jelinek sich zunehmend von den dramatischen Regelungen Abstand nimmt. Besonders ihre neueren Werke, so wie In den Alpen, vielleicht „rätselhaft“, zumindest ausgesprochen komplex erscheinen, weil die formalen Kategorien, die gewöhnlich mit dem dramatischen Genre assoziiert werden, hier nicht vorhanden sind: dieses Theaterstück kennzeichnet sich dadurch, dass es keine lineare Handlungsstruktur und ein komplexes Spiel mit der Sprache und der Intertextualität gibt.
Jene erwähnten Schwierigkeiten können zwar am Anfang verwirrend wirken, aber die Frage soll gestellt werden, warum Jelinek solches Wert darauf liegt, zu welchem Zweck, und ob sie dieses Ziel damit erreicht.
Nachdem in einem analytischen Teil mehrere Aspekte dieses Theaterstücks untersucht werden, wäre es interessant näher zu betrachten, welchem Zweck diese Aspekte dienen, die die Besonderheit dieses Stücks machen, um schließlich beurteilen zu versuchen, ob diese Ziele durch diese Merkmale und diese spezielle Schreibweise erreicht werden.
[...] Die Aussagen dieser Stimmen lassen sich auf verschiedenen Sinnenebenen verorten. Unüberhörbar sind zunächst die Anspielungen auf das Seilbahnunglück („Heizstrahler“, „Lärchenholzplatten Dämmmaterial“ S.41), wobei der Schwerpunkt auf der Frage nach Verantwortung für das Unglück liegt. Auch auffallend sind Aussagen, in denen das Physiologische bzw. Sexuelle im Vordergrund steht Die Katarina ist eine Drecksau! Die furzt rum und die wäscht sich nicht!“ S.41) und deren Sinnzusammenhanf dabei nicht weiter entschlüsselbar scheint. Schließlich sei auf die umgangssprachliche Redeweisen hingewiesen: bist du deppert?“, „Celan, Geil!“. [...]
[...] Dabei kommen vor allem drei Bereiche in Frage: die Bremsen, das Radlager sowie die Heizung. Ein Defekt eines dieser Systeme, so meine These, hat den Brand in der unbesetzten Führerkabine des bergwärts fahrenden Zuges ausgelöst und sich binnen weniger Minuten zum Inferno entwickelt.“ (S. 62) - Diskurses, in denen sowohl Natur und Heimat als auch Technik idealisiert werden. - Der nationale Diskurs, in dem Geschichte revidiert wird, und die kollektive Schuld negiert bzw. verharmlost wird: machen derweil einen ordentlichen Schulterschluss, und wir müssen jetzt alle mit einer einzigen Stimme sprechen. [...]
[...] In der Bahn befanden sich angeblich keine Feuerlöscher, und nur die Fahrer konnten die Türe öffnen. Auf technische Elemente sowie Details des Unfalls und der Rettungsaktion wird im Text ständig zurückgegriffen, nicht selten auf ironische Weise, aber darauf wird noch später Wert gelegt. (z.B. S 15) Besonders interessant für Jelinek ist das Moment des Widerspruchs zwischen der Überwindung des natürlichen Hindernisses einerseits, und andererseits den wirtschaftlichen Imperativen und der Sicherheit, das diesem Unfall inhärent ist: Verschiedene Sicherheitsmaßnahmen wurden versäumt, weil es auch darum ging, Kosten zu senken. [...]
[...] Denn zahlreiche dieser Bemerkungen treffen offensichtlich auch auf das Theater Jelineks zu. Sowie das postdramatische Theater sich der Vermittlung eines einheitlichen Diskurses verwehrt, betont Jelinek die Vieldeutigkeit als eine Notwendigkeit, die beim Publikum die Lust am Assoziieren weckt. Zeitgenössische Theatertexte differenzieren sich dadurch vom Drama, dass sie den Merkmalen der Figuration und der Erzählung nicht mehr entsprechen. Die Absage an die herkömmliche dramatische Form bedeutet auch, dass der Theatertext zunächst als ein Material verstanden wird, das als Ausgangspunkt eines autonomen szenischen Kunstwerks fungiert: Postdramatische Theatertexte verzichten in diesem Sinne oft auf Personenangaben und Regieanweisungen oder heben nicht selten die traditionelle Unterscheidung zwischen einem Haupt- und einem Nebentext auf. [...]
[...] 45) Hiermit kann die Intertextualität angesprochen werden: Jelinek übernimmt durch das Diskurs des Mannes einen Text von Paul Celan, Gespräch im Gebirg (1959), der die Wanderung eine Juden durchs Gebirge und seine Gedankengänge während dessen beschreibt. Das Stück schlägt also einen Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Auf der einen Seite steht die extrem mediatisierte Trauergeste um die 155 Opfer des Seilbahnunglücks; auf der anderen Seite die Abwesenheit eines Diskurses über die Schuld gegenüber einem ganzen Bevölkerungsteil. Interessant ist zu bemerken, dass 1955 den Staatsvertrag unterzeichnet wurde, womit Österreich seine Souveränität wieder bekommt. Mit diesem Vertrag wird die Opfertheorie, dass heißt die Behauptung, dass Österreich Opfer des Nationalsozialismus war, offiziell. [...]
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